
Venus von Langenzersdorf / Bisamberg Wien
In die Entwicklung der matrilinearen Verwandtschaft
wurde die Reihe der Ahninnen einbezogen, die lange Gliederkette,
die aus der Vergangenheit in die jeweilige Gegenwart führt.
Damit entstand durch die Geschichte des jeweiligen Clans
ein neues Bewusstsein von Vergangenheit,
das mit der ersten Ahnfrau beginnt
Heide Göttner Abendroth 1
Die Funde der symbolreichen weiblichen Figurinen mehren sich weltweit. Sie wurden schon vor 40.000 Jahren im Paläolithikum aus Tonerde und Lehm, aus Knochen und Stein kunstvoll von Frauen geschaffen.
Die Vielfalt der Darstellungen spricht für die Bedeutung des weiblichen Körpers in der damaligen Gesellschaft und für das zyklische Verständnis von Fruchtbarkeit, Leben, Tod und Wiedergeburt. Häufig erscheinen sie nackt, mit feinen, symbolischen Verzierungen oder Andeutungen von Kleidung. Die Linien und Muster auf den Figurinen sind oft nicht nur dekorativ, sondern besitzen eine tiefere, religiöse Bedeutung, die mit einem matriarchalen Weltbild verbunden ist.
Ihre Körperformen sind bemerkenswert detailliert und zeigen eine breite Palette von weiblichen Archetypen. Unter den Figurinen sind junge, schlanke Frauen mit einer zarten, fast kindlichen Brust. Diese Darstellung könnte das jugendliche Leben symbolisieren – die Zeit der ersten Blüte einer Frau. Daneben gibt es viele Figurinen, die schwangere Frauen zeigen, oftmals kurz vor der Geburt eines Kindes. Ihre Körper mit dem hervor gehobenem Bauch, sind ein deutlicher Hinweis auf das zentrale Thema der Fruchtbarkeit und der Weitergabe des Lebens.

Venus von Eggendorf / Niederösterreich
Doch die Vielfalt geht noch weiter: Es gibt auch ältere Frauenfigurinen, die durch ihre faltenreiche Haut und üppige Leibesfülle gekennzeichnet sind. Sie vermitteln eine andere, ebenso wichtige Dimension der Weiblichkeit – die Weisheit und den Respekt vor dem Alter. In diesen Darstellungen könnte die Verehrung der Älteren Frau als Hüterin von Wissen und Tradition eine Rolle spielen. Sie zeigen, dass das Leben nicht nur in der Jugend und Fruchtbarkeit, sondern auch im Alter einen wertvollen Platz einnimmt.

Venus von Willendorf / Wachau
Das Fehlen von Gesichtern bei einigen Figurinen ist besonders auffällig. Oft wirken sie in ihrer anonymen Erscheinung beinahe gesichtslos und geheimnisvoll. Es ist, als ob sie nicht als individuelle Personen, sondern als kollektive Symbole für eine größere, universelle Bedeutung verstanden wurden. Manche erscheinen abwesend oder in einem tranceartigen Zustand, was auf eine spirituelle oder rituelle Dimension hinweisen könnte, die auf eine tiefe Verbindung zu religiösen Praktiken oder schamanistischen Vorstellungen von Transzendenz und Kommunikation mit den Ahninnen hinweisen.
Ein weiteres bemerkenswertes Merkmal ist die Haltung ihrer Arme, die bei einigen von ihnen nur kurz angedeutet und waagrecht ausgestreckt sind, andere über der Brust verschränkt, möglicherweise als ein Zeichen der Schutzgeste oder der Einkehr in sich selbst. Manche halten die Hände auf ihrem Bauch, was eine Verbindung zur Fruchtbarkeit und zur Schwangerschaft signalisiert. Diese spezifischen Körperhaltungen sind wohl nicht nur zufällig gewählt, sondern tragen eine symbolische Bedeutung, die mit der Rolle der Frau als Lebensspenderin, Beschützerin oder spirituellem Wesen in Verbindung steht.
Die meisten der Frauenfigurinen sind nackt, was möglicherweise auf die ursprüngliche, unverfälschte Verbindung zur Natur und zur weiblichen Essenz hinweist. Einige waren mit Rötelfarbe bemalt, der Farbe des Blutes und des Lebens.

Venus vom Falkenstein / Niederösterreich
Die Entdeckung der Frauenfigurinen in Gräbern, in Häusern beim Herd, in Lehmgruben am Wasser, als Grabbeigaben oder in Höhlen, lässt auf ihre Bedeutung als rituelle Objekte schließen. Sie könnten als Schutzgeist der Ahninnen, als Muttergöttinnen oder als Bindeglied zwischen den Generationen verstanden worden sein. Besonders faszinierend ist die Vorstellung, dass diese kleinen Figuren Teil eines matrilinearen Verwandtschaftssystems waren, in dem die Ahninnen eine zentrale Rolle spielten.
Heide Göttner Abendroth, eine bekannte Forscherin auf dem Gebiet matriarchaler Gesellschaften, beschreibt, wie durch die Geschichte des jeweiligen Clans ein Bewusstsein für die Vergangenheit geschaffen wurde, das bei den ersten Ahninnen begann und bis in die Gegenwart reichte. Diese Ahninnen könnten in den Figurinen als ein Symbol des Kontinuitätsbewusstseins und des Schutzes durch die weibliche Linie dargestellt worden sein.

Graziella / Steiermark Museum Joaneum Graz
Die Venus Idole, wie sie in Österreich auch genannt werden, rufen heute in den Museen, in denen sie ausgestellt sind, ein Gefühl der Bewunderung hervor, doch es bleibt bei mir auch immer wieder eine gewisse Enttäuschung über ihre fehlende Verbindung zum ursprünglichen Kontext ihrer Entdeckung. Der wahre Wert und ihre einstige Bedeutung können nur im Zusammenhang mit dem kulturellen und spirituellen Umfeld der damaligen Zeit erfasst werden. Sie sind nicht nur archäologische Objekte, sondern verweisen auf ein komplexes Zusammenspiel zwischen religiösen Vorstellungen, Familienschamanismus und Ahnenkult, der über Jahrtausende hinweg in der kollektiven Vorstellungskraft weiterlebte.
In den Mythen der verschiedenen Völker finden sich zahlreiche Erzählungen, die von einer universellen Muttergöttin erzählen, die in prähistorischen Zeiten große Verehrung erfuhr. In vielen Kulturen gab es Rituale, bei denen kleine Figuren als Amulette von den Frauen getragen, an speziellen Orten im Haus oder an ausgewählten Orten der regionalen Landschaft platziert wurden, um Schutz zu bringen oder um Glück und Kindersegen zu erbitten. So sind die Figurinen mehr als nur Kunstwerke – sie sind Relikte einer vergangenen Welt, in der das göttlich weibliche Prinzip eine zentrale Rolle spielte.

Figurinen im Museum Asparn / Niederösterreich
Die Körperhaltungen der weiblichen Figurinen sind aufrecht stehend, selbstbewusst, ihr Blick ist klar, ernst, durchdringend oder er wirkt doppeldeutig hinter einer Maske verborgen. Sie sitzen auf breiten Stühlen, ihre Präsenz ist die einer thronenden Göttin, die von Tieren beschützt wird. Ihre Verwandlung in ein Tier wird durch einen Schnabel, Flügel, Krallen oder breite Tatzen angedeutet.
Die österreichischen Frauen Figurinen zeigen eine große Vielfalt all dieser Merkmale.
1 - Heide Göttner Abendroth, Geschichte matriarchaler Gesellschaften und Entstehung des Patriarchats, Bd. III,: Westasien und Europa, Verlag Kohlhammer 2019, S 117
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