Ich träumte von Orchil, der Göttin zart,
in dunkler Erde in einer Höhle.
Sie webt dort an zwei Stühlen,
mit der einen Hand webt sie das Leben hinauf durch das Gras,
mit der anderen den Tod nach unten in den Moder.
Das Geräusch des Schiffchens ist die Ewigkeit,
sein Name in der grünen Oberwelt ist Zeit.
Und durch alles hindurch webt Orchill den Schuß,
den Schuß von ewiger Schönheit,
ewige Schönheit, die nicht vergeht,
auch wenn ihr Name Vergänglichkeit ist.
William Sharp unter dem Pseudonym Fiona MacLeod
Magie und Mythos der weiblichen Handwerkskunst
![](https://image.jimcdn.com/app/cms/image/transf/none/path/s61ee3e1307e73e8b/image/ia58e5fc75d1879a8/version/1736692753/image.png)
Symbolhaft verzierte Handspindeln
Volkskunde Museum Wien
Die Kunst des Spinnens und Webens ist in vielen Kulturen der Welt nicht nur als Handwerk, sondern auch als magische und rituelle Praxis von großer Bedeutung. Diese Tätigkeiten sind eng mit weiblichen Gottheiten verbunden, die für die Schicksalsbestimmung und den Fortgang der Natur verantwortlich sind.
Spinnende Göttinnen und das magische Handwerk
In vielen alten Mythen und Legenden sind es Frauen, die mit den magischen Kräften des Spinnens in Verbindung stehen. Die griechischen Muttergöttinnen Artemis, Athene, Aphrodite, oder die slowenische Wechtra Baba, werden oft als die Hüterinnen des Lebens und des Schicksals dargestellt. Sie besitzen eine goldene Spindel, die sie mit der Schöpfung und dem Erhalt des Lebens verbinden.
![](https://image.jimcdn.com/app/cms/image/transf/dimension=358x10000:format=png/path/s61ee3e1307e73e8b/image/i0f7be6241717de81/version/1736692709/image.png)
Geheimnisvolle Spinnerin Frau Berchta im Mühlviertel
Buch Erdwurzeln aus dem oberen Mühlviertel, Helmut Mitgutsch, Schlägl 2001
In den alpinen Regionen kennen wir Frau Berchta, die als schenkende Göttin zu Beginn der Weihnachtszeit und in den Rauhnächten mit einer goldenen Spindel erscheint. Sie achtet auf die Gesetze, die zwischen dem alten und dem neuen Jahr gelten, belohnt fleißige Spinnerinnen und sorgt dafür, dass angefangene Arbeiten vollendet werden.
In Kärnten wird erzählt, dass am Vorabend des Perchtentages nach altem Herkommen nicht gesponnen werden durfte. Die Gößbäuerin im Gößgraben spann gerne in mondhellen Nächten und saß daher auch einmal am Abend vor Dreikönig bei der Arbeit. Der Mond stand hell am Himmel als er aber die Frau bei ihrer Tätigkeit erblickte, warf er sieben Spindeln in die Stube hinein und befahl, bis Mitternacht alle abzuspinnen. doch die Bäuerin war klug und wußte sich zu helfen. Sie spann um jede Spindel nur ein Garnringle (eine Schicht Garn) und als es in Maltein zwölf schlug und der Mond wieder in die Stube guckte, lagen schon alle Spindeln umsponnen da. Darauf sprach der Mond: "heute hat dir deine Schlauheit geholfen. Finde ich dich aber noch einmal am Dreikönigsabend beim Spinnen, so wirst du zerissen!" Die Nacht gheart mein, der Tag gheart dein."
Besonders in der europäischen Mythologie ist der Mond / die Mondin oft mit Göttinnen und weiblichen Wesen verknüpft, die über Fruchtbarkeit, Ernte und das Wohl des Haushalts wachten. Frau Berchta, wurde häufig mit dem Winter, dem Neujahrswechsel und den heiligen Tagen in Verbindung gebracht, die die Jahreswende prägten.
Die strikte Einhaltung der Gesetze für heilige Tage, wie sie in vielen traditionellen Kulturen praktiziert wurden, war nicht nur ein religiöses Gebot, sondern auch ein Mittel zur Bewahrung des sozialen Gefüges und der spirituellen Harmonie. Frau Berchta, als Schutzpatronin dieser Zeit, forderte die Menschen auf, die geistige und körperliche Reinigung durch den Verzicht auf weltliche Tätigkeiten wie das Spinnen in den heiligen Nächten zu vollziehen. Gleichzeitig verband sie die mythologische Bedeutung des Mondes und seiner Zyklen mit den praktischen Aspekten des Handwerks, wobei das Spinnen und Weben symbolisch für das Knüpfen von Verbindungen zwischen den Welten stand – zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, zwischen der Dunkelheit der Winterzeit und dem Licht des kommenden Frühlings.
Frau Berchta und die Spinnstube
Frau Berchta, die als Spinnstubenfrau verehrt wurde, gilt nicht nur als Göttin des Flachsanbaus, sondern auch als Schutzgöttin der Frauen und des Hauses. In den langen Winternächten fanden sich die Frauen oft auch in einer Spinnstube zusammen, um das Handwerk zu pflegen und gemeinsam zu arbeiten. Während diese handwerklichen Tätigkeiten ausgeführt wurden, erzählten sie sich Geschichten, sangen Lieder und gaben ihr Wissen an die jüngere Generation weiter.
Der magische Faden – Schutz und Heilung
Spinnen und Weben waren nicht nur ein Handwerk, sondern hatten tiefgreifende magische Bedeutung. Der Faden, der dabei entstand, wurde als heilig und schützend angesehen. In vielen Kulturen galt vor allem der rote Faden als ein Mittel, um das Böse abzuwehren und das Leben zu segnen.
Der gesponnene Faden und das daraus entstandene Leinengewebe hatte vor allem auch in Österreich eine magisch abwehrende, die Fruchtbarkeit fördernde Kraft. In einigen Regionen wurden Hanffäden bei Krankheiten um den linken Fuß gewickelt, um Heilung zu bewirken.
Aus dem ersten Garn das ein junges Mädchen gesponnen hatte, wurden Im Salzkammergut Saattücher gewebt und damit das Getreide ausgesät, um ein gutes Aufgehen der Saat und ein reiches Wachstum zu bewirken. Mädchen konnten diese Fäden besonders gut spinnen, weil sie die Fähigkeit besitzen, als junge Frauen neues Leben zu gebären.
In der Steiermark wurde zu allen vier Quatember Zeiten ein Zwirn gesponnen, der gegen Lawinen half, jedem Stück Vieh wurde vor der Alm Fahrt zum Schutz vor Gefahren, die Kette mit einem Quatember-Zwirn zusammen gebunden.
Märchen und Erzählungen von den drei Schicksalsfrauen
![](https://image.jimcdn.com/app/cms/image/transf/dimension=750x10000:format=jpg/path/s61ee3e1307e73e8b/image/i67af2a737ebe2dfd/version/1736695268/image.jpg)
Bild aus dem Märchenbuch, Der Goldene Schlüssel, I. Geissler und J. Metzger, Anette Betz Verlag
Alle Nationen der alten Welt kannten die Theorie,
daß das Leben ein geheimnisvoller Faden sei,
der von der Jungfrau gesponnen,
von der Mutter gemessen und gehalten
und von der Greisin abgeschnitten wird.
Barbara Walker
In vielen Märchen und Erzählungen wird das Spinnen mit der Bestimmung des Lebens verbunden. Die drei Schicksalsfrauen, die den Lebensfaden spinnen, bemessen und abschneiden, spielen dabei eine zentrale Rolle. Ein bekanntes Beispiel ist das Märchen von Rapunzel, die mit Hilfe von magischen Frauen das Unmögliche – das Spinnen von Stroh zu Gold – vollbringt.
Ebenso begegnen wir in Sagen aus dem Mühlviertel in Österreich geheimnisvollen Waldfrauen, die einem armen Waisenmädchen das Handwerk des Spinnens lernen und so zu einem besseren Schicksal verhelfen. Ihr Segensspruch lautete:
" Hab immer Flachs auf deinem Rocken! "
Im Zuge der Christianisierung übernahmen heilige Frauen wie St. Gertrud, aber auch die Gottesmutter Maria viele Eigenschaften, Attribute und Symbole der alten Muttergöttinnen. So sehen wir sie hier auf einem Fresko der kleinen Johannes Kirche von Pürgg, in der Nähe des Berges Grimming. Als spinnende Frau hält nun Maria die Fäden des Lebens in ihren Händen.
![](https://image.jimcdn.com/app/cms/image/transf/dimension=702x10000:format=jpg/path/s61ee3e1307e73e8b/image/ie92fa20138f3e3c7/version/1736697093/image.jpg)
Kommentar schreiben