Les Saintes Maries de la Mere

 

Wer war die von den Zigeunern verehrte schwarze Sara, die eines Tages vom anderen Ende der Welt einen Kahn antreiben sah und sich der sterbenden Insassen annahm? Eine Frau, die so schön und unzähmbar war wie sie selber, weigerte sich selbst im Delirium, ein seltsam glänzendes Gefäß loszulassen. Und Sara, die Eingeweihte, die Zigeunerin, Isis, begriff. Sie begriff,  daß dieses Gefäß ihren Tod enthielt. Sie beließ es der Kranken und pflegte sie gesund. Sara war „die Gewesene“, die „der Kommenden“ zum Leben verhalf. Später erlaubte sie, daß die Frau und ihre Gefährtinnen über dem Altar des göttlichen Mithra einen Neuen errichteten. Und sie erlaubte Maria Magdalena, der Freundin, der Schwester, ihre Stelle einzunehmen.  Die Erkenntnis blieb dieselbe, nur die Gestalt wandelte sich. Mit dem Schiffchen, das in Les Saintes-Maries-de-la Mer  landete, kam der neue Glaube in die Carmague. Merian, Provence,  Heft 7 / 26. Jahrgang, S 89 

 

Krypta Sara la Kali, Mai 2024

 

Les Saintes-Maries-de-la-Mer ist ein historisch und religiös bedeutender Ort in der Camargue in Südfrankreich, berühmt für seine Wallfahrtskirche und die Verehrung von Sara la Kali, einer mystischen Figur, die tief mit der Geschichte der Zigeuner verbunden ist. Der Ort wurde ursprünglich als „Anatilia“ bezeichnet und hat eine lange Geschichte, die sich bis in die prähistorische Zeit zurückverfolgen lässt.

 

Die Legenden rund um Le Saintes-Maries-de-la-Mer sind vielfältig und reichen weit in die Geschichte zurück. Besonders bekannt ist die Erzählung, dass im Jahr 40 n. Chr. Maria Magdalena, Maria Salomä und Maria Jakobäa zusammen mit ihrer schwarzen Dienerin Sara, hier an Land gingen, um den christlichen Glauben in der Provence zu verbreiten. Sara, die in der Tradition der Zigeuner als heilige Frau verehrt wird, half diesen Frauen und blieb in der Region. Sie wurde später zur Patronin der Zigeuner und derjenigen, die ihren Schutz suchten.

 

 

Unzählige Menschen drängen sich bei unserem Besuch im Mai 2024 in die Wallfahrtskirche und strömen in die Krypta, getrieben von Faszination und Neugierde, die vor allem der Schwarzen Madonna, der Sara la Kali gilt. Den Zigeunern, deren Ahnfrau sie einst war, die sie küssten, abrieben und wie eine echte Mutter umarmten, gehört sie schon längst nicht mehr. Sie ist zu einer Patronin für Viele geworden, die bei ihrem Anblick weinen, Kerzen anzünden und beten, die Statue scheu berühren, oder gemeinsam in ihrer Nähe meditieren.

 

 

Das Gebiet rund um Les Saintes-Maries-de-la-Mer war schon in der Antike aufgrund seiner geografischen Lage und der natürlichen Ressourcen ein attraktiver Ort für Siedlungen. Das tiefblaue Meer, das früher bis zu den Häusern des heutigen Städtchens reichte und regelmäßig das Land überflutete, bot eine reichhaltige Lebensgrundlage. Die Rhone, die bei Arles in zwei Arme geteilt wird, bildet an dieser Stelle einen Flussdelta, das in die Camargue führt und sich dann weiter in das Mittelmeer erstreckt. Dieses Flussdelta, das die „Petite Rhone“ und die „Grande Rhone“ umfasst, bot den frühen Siedlern fruchtbare Böden und einen Zugang zu den Handelswegen des Mittelmeers.

 

Die Rhone war von großer Bedeutung für die Ligurer, eine der ersten bekannten Siedlergruppen in der Region. Sie lebten hier vom Fischfang und betrieben einen regen Handel, der ihnen half, Wohlstand zu erlangen.

 

Ein markantes geographisches Merkmal in der Camargue ist der Etang du Vaccares, ein Salzsee in der Mitte der Region. Laut Sagen beherbergt der See ein Mischwesen, halb Mensch, halb Ziege, das als der „Wilde Mann“ bekannt ist. Diese Figur wird in der christlichen Ikonografie der Region als eine Art Heros oder Beschützer dargestellt, der mit den Fruchtbarkeits- und Wassergöttinnen in Verbindung steht. 

 

 

Der rosa See selbst wird oft als Symbol für den „Schoß der Göttin“ verstanden – ein kraftvolles Symbol der Fruchtbarkeit und des Lebens. Orte, die Salz oder andere mineralische Ressourcen beinhalteten, wurden als besonders heilig betrachtet. 

 

Sara la Kali wird auch als die Königin Kali bezeichnet, wobei sie in ihrer Erscheinung sowohl die dunkle Seite der Göttin als auch die sanfte, schützende Mutter symbolisiert. Ihr Bild in der Krypta von Saintes-Maries-de-la-Mer zeigt sie als junge Frau die eine Brautkrone trägt – ein Zeichen der bevorstehenden Heiligen Hochzeit. Die Brautkrone, die sie ziert, und der festliche, aus vielen Schichten bestehende Umhang, verleihen ihr eine besondere Bedeutung, die mit dem Bild einer Frau verbunden ist, deren Hochzeit kurz bevorsteht.

 

Ihre Hochzeit ist eine symbolische Vereinigung von Himmel und Erde, von männlichem und weiblichem Prinzip, die das kosmische Gleichgewicht widerspiegelt.

 

Jedes Jahr im Frühling, während des Pilgerfests zu Ehren von Sara la Kali, wird ihr Sarg mit einer festlichen Zeremonie vom Dachboden der Kirche heruntergelassen. Dabei ist es Brauch, dass Gläubige und Pilger Kronen aus Goldpapier und Blumen an den Sarg hängen, was den symbolischen Aspekt der Heiligen Hochzeit unterstreicht. Diese Kronen sind nicht nur ein Akt der Verehrung, sondern auch eine Bitte um die göttliche Segnung und Fruchtbarkeit. Sie repräsentieren den Glanz und die festliche Aura der Göttin, die sowohl für die Erde als auch für die Seelen der Menschen sorgt. Während der Zeremonie halten die Gläubigen kleine Kerzen in den Händen und singen Lieder, die sowohl die Verehrung als auch die Bitte um die göttliche Gnade ausdrücken. 

 

Votivbild mit der Bitte um Kindersegen

 

In den alten religiösen Ritualen der Region, insbesondere in Verbindung mit den Wassergöttinnen, spielte auch der Steinkult eine wichtige Rolle. Steine wurden als heilige Objekte verehrt, die göttliche Energie in sich trugen. Die Frauen berührten sie mit der Bitte um Kindersegen, sie setzten sich darauf oder rutschten an den Steinen herab.

 

Über die Jahre hinweg wurden die Steine durch wiederholtes Berühren und Streicheln glatt poliert, was die Verehrung und die Bedeutung dieser Objekte noch verstärkte. In der Kirche von Les Saintes-Maries-de-la-Mer ist heute noch ein solcher uralter Stein sichtbar, er wird als Kopfkissen der Marien bezeichnet. Dieser Stein bleibt ein bedeutendes religiöses Symbol und eine Quelle der Verehrung für viele Pilger. Der Stein steht als Symbol für die Mutter Erde, die Leben empfangen, nähren und erneuern kann. 

 

Kultstein in der Kirche

 

Das Bad der Göttin nach der Heiligen Hochzeit führt ans Meer...

 

In vielen Kulturen ist das Bad der Göttin ein tief symbolischer Akt, der für Reinigung, Wiedergeburt und den Beginn eines neuen Zyklus steht. Das Wasser spielt dabei eine zentrale Rolle, da es eng mit der Symbolik der Fruchtbarkeit und der Wiedergeburt verbunden ist. Durch das Bad wird die Göttin nicht nur gereinigt, sondern auch ihre lebensspendende Kraft erneuert.

 

Die Göttin ist eng mit der Landschaft der Camargue und ihren heiligen Gewässern verbunden. Diese Region, in der sich Salzseen, Flüsse und das weite Meer vermengen, wird als heiliges Land betrachtet.

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